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Familie Meinhardt

Foto: 2 Stolpersteine der Familie Meinhardt
Stolpersteine der Familie Meinhardt

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Transkript

Mein Name ist Alfred Michael Meinhardt. Ich möchte euch zum einen die Überlebensgeschichte meiner Eltern und zum anderen das tragische Schicksal meiner Großeltern erzählen. Sie waren Opfer des Antisemitismus.

Mit der Ansiedlung der Hugenotten und Juden im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich nicht nur ein profitabler Wirtschaftszweig in Form von Tabak, sondern auch eine jüdische Gesellschaft in Schwedt. Mein Großvater Franz Meinhardt, geboren am 15. Januar 1877, führte das Geschäft seiner Vorfahren fort. Als Leiter seines eigenen Betriebes baute er Tabak an und verarbeitete diesen. Oft musste mein Vater Gerd bei der mühsamen Arbeit helfen, die Blätter zum Trocknen aufzuhängen.

1933 hat Franz sein Geschäft an seinen Sohn übertragen, der zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt war. Mit der aufsteigenden Macht Hitlers entstanden immer mehr Beschränkungen für Juden, sodass sich meine Tante 1935 verpflichtet fühlte, aus Deutschland nach Israel zu flüchten. Der Rest der Familie blieb zunächst in Schwedt, im Haus von Franz und seiner Frau Margarethe, in der Straße Flinkenberg 6.

In dieser so schweren Zeit verliebten sich Gerd und Käte, die im April 1938 in Breslau heirateten. Nur wenige Monate später, in der Nacht vom 9. zum 10. November, wurden sämtliche jüdische Gebäude in der Stadt zerstört und alle Männer verhaftet, darunter auch Gerd und Franz. Dabei fragte mein Großvater die Polizisten immer wieder, was er denn verbrochen habe, da es keinen Grund für die Verhaftung gäbe. Sie kamen ins Schwedter Gefängnis, das die älteren Menschen, unter anderem Franz, schon nach einigen Tagen wieder verlassen durften. Jedoch wurde mein Vater ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, aus dem er im folgenden Februar wieder freikam.

Die Gefahr durch die Nazis für die Familie wurde immer bedrohlicher. Die größte Einkommensquelle der Meinhardts, der Tabakbetrieb, wurde ihnen genommen, wodurch sich meine Mutter Käte um ein Visum für außereuropäische Länder bemühte, das nur sehr schwer zu bekommen war. Im Mai gelang es ihr schließlich, ein Visum für Chile zu erlangen, wo sie mit Gerd glücklicherweise noch vor Beginn des 2. Weltkrieges mit dem Schiff hinfuhr. Diese Überfahrt war mit ca. 1000$ sehr kostenaufwendig, was jedoch durch die Hilfe nichtjüdischer Bekannter möglich war.

Großvater allerdings liebte seine Heimat und empfand sich selbst nur als Hindernis in einem fremden Land. Zudem sagte er: „Geht nur, wir halten hier die Stellung, bis dieser Hitler weg ist.“ Diese Hoffnung ging jedoch schon bald wieder verloren, als Franz und Margrethe im März 1942 in ein jüdisches Arbeitsheim gebracht wurden, wobei auch ihr kompletter Besitz, wie Konten und ihr Haus, eingezogen wurde. Die Überlebenschancen verschlechterten sich, weil sie im nächsten Monat tagelang in Viehwaggons ins Warschauer Ghetto transportiert wurden. Die Lebensbedingungen dort waren katastrophal, aufgrund von Krankheiten und wenig Nahrung.

Großmutter schrieb in einem Brief über den Tod ihres Mannes, der am 10. Mai 1942 durch eine bis heute nicht bekannte Ursache verstorben war. Ihr Schicksal war ebenso tragisch, denn sie kam bei dem Transport nach Treblinka am 22. Juli ums Leben. Meine Großeltern hatten noch viele Jahre vor sich, da sie erst 65 bzw. 62 Jahre alt waren. Jedoch konnten sie ihre Freiheit während des Nationalsozialismus nicht genießen, denn alle Juden wurden schikaniert und massenhaft umgebracht.

Glücklich bin ich darüber, dass meine Eltern nach Chile flüchten und sich ein neues, normales Leben aufbauen konnten. Dort sind mein Bruder und ich zur Welt gekommen. Dennoch fühle ich, dass meine Wurzeln in Deutschland sind, weshalb ich nach meiner Hochzeit mit meiner eigenen Familie nach München gezogen bin.

Audio English

transcript

My name is Alfred Michael Meinhardt. I would like to tell you the story of my parents' survival on the one hand and the tragic fate of my grandparents on the other. They were victims of antisemitism.

With the settlement of the Huguenots and Jews in the 17th and 18th centuries, not only did a profitable industry develop in the form of tobacco, but also a Jewish society developed in Schwedt. My grandfather Franz Meinhardt, born on 15th January 1877, continued the business of his ancestors. As manager of his own business, he grew and processed tobacco. My father Gerd often had to help with the arduous work of hanging up the leaves to dry.

In 1933, Franz transferred his business to his son, who was 30 years old at the time. With Hitler's rising power, more and more restrictions arose for Jews, so that in 1935 my aunt felt obliged to flee Germany for Israel. The rest of the family stayed in Schwedt at first, in the house of Franz and his wife Margarethe, at Flinkenberg 6.

During this difficult time, Gerd and Käte fell in love and were married in Breslau in April 1938. Only a few months later, on the night of 9 to 10 November, all the Jewish buildings in the city were destroyed and all the men were arrested, including Gerd and Franz. My grandfather kept asking the police what he had done, as there was no reason for the arrest. They were sent to the Schwedt prison, which the older people, including Franz, were allowed to leave after a few days. However, my father was deported to the Sachsenhausen concentration camp, from which he was released the following February.

The danger posed by the Nazis to the family became more and more threatening. The Meinhardts' biggest source of income, the tobacco business, was taken from them, which led my mother Käte to apply for a visa for non-European countries — a very difficult process. In May, she finally succeeded in obtaining a visa for Chile, where, fortunately, she went by ship with Gerd before the beginning of the Second World War. This crossing was very expensive at about $1,000, but it was possible thanks to the help of non-Jewish acquaintances.

Grandfather, however, loved his homeland and felt that he was only an obstacle in a foreign country. Moreover, he said, "Go ahead, we'll hold the fort here until this Hitler is gone." This hope was soon lost, however, when Franz and Margarethe were taken to a Jewish workhouse in March 1942, where all their possessions, such as accounts and their house, were also confiscated.

Their chances of survival worsened as they were transported for days in cattle cars to the Warsaw Ghetto the next month. Living conditions there were catastrophic due to disease and little food. Grandmother wrote in a letter about the death of her husband, who died on 10 May 1942 from an unknown cause. Her fate was equally tragic, as she was killed during the transport to Treblinka on 22 July.

My grandparents still had many years ahead of them, as they were only 65 and 62 years old respectively. However, they were not able to enjoy their freedom during National Socialism, because all Jews were harassed and killed en masse.

I am happy that my parents were able to flee to Chile and build a new, normal life. My brother and I were born there. Nevertheless, I feel that my roots are in Germany, which is why I moved to Munich with my own family after I got married.

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