Bewegende Buchlesung (Archiv)
Etwa 60 Besucher, nicht nur ältere und auch sehr viele Frauen, hatten sich am 15. Juni 2010 im Berlischky-Pavillon eingefunden, um den Mann und sein Schicksal kennen zu lernen. Dem Autor war es nicht leicht gefallen, die Einladung des Stadtmuseums zu dieser Lesung anzunehmen. Auf der langen Autofahrt von Dresden nach Schwedt gingen ihm viele Fragen durch den Kopf, auch solche, ob wohl ehemalige Wärter anwesend sein, ob sie sich zu Wort melden würden.
Doch diese Befürchtungen waren überflüssig. In die Stille des Raumes hinein las Klaus Auerswald Passagen aus seinem Buch, die deutlich machten, aus welch nichtigen, heute auch nicht mehr nachvollziehbaren Gründen man in das Visier der Staatssicherheit kommen konnte. Und wie man, ohne es zu ahnen, plötzlich ein „Rädelsführer“ wurde. Ihm war damals nicht bewusst, wie schmal der Grat war zwischen jugendlichem Übermut und plötzlichem Verhaftet-Werden. Der ehemalige Soldat wurde 1968 wegen angeblich „mehrfach begangener staatsfeindlicher Hetze“ zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Seine staatsfeindliche Hetze hatte darin bestanden, dass er sich kritisch mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in der damaligen ČSSR auseinandersetzte.
Mit ruhiger, manchmal auch etwas bewegter Stimme, schilderte er seine Erlebnisse als inhaftierter Militärangehöriger. Sein Trupp musste sechs Tage in der Woche je 12 Stunden Schwerstarbeit im Betonwerk auf dem Gelände des PCK leisten. Die Verpflegung war für diese Arbeit nicht ausreichend, sodass nach längerer Zeit fast alle an Unterernährung litten. Die unterschiedlichen Strafen – von Schlägen mit dem Knüppel bis hin zur Arrestzelle, in der er den ganzen Tag nur stehen verbringen durfte, – begleiteten den Tagesablauf. Am Ende dieser Haftzeit hatte er nur den einen Wunsch: so etwas nie wieder erleben zu müssen.
Nach der Wende hatte Klaus Auerswald die Möglichkeit, seine 500 Seiten dicke Stasi-Akte einzusehen. Was er dort lesen musste, hat ihn zutiefst erschüttert. Bereits im Gefängnis in Schwedt begann seine Überwachung, nach seiner Entlassung wurde er noch wochenlang rund um die Uhr beschattet, Berichte über ihn wurden bis 1989 angefertigt, ein guter Freund erwies sich auf einmal als Spitzel.
Durch bundesdeutsche Gerichte wurde Auerswald inzwischen rehabilitiert. Das bereitet ihm große Genugtuung. Mit seinem Buch hat er sich vieles von der Seele geschrieben. Er hat keinen Groll und keinen Hass mehr. Auf die Frage eines Anwesenden, wie er reagieren würde, wenn ihm jemand von damals über den Weg liefe, meinte er: „Ich würde es gut finden, wenn derjenige inzwischen zu der Einsicht gekommen wäre, dass er Unrecht begangen hat.“