Eröffnung des neuen SEMINARhauses (Archiv)
Impressionen vom 27. August 2021
In der Schwedter Gartenstraße stand ab 1862 die Synagoge der Jüdischen Gemeinde. Die Gemeinde zählte Mitte des 19. Jahrhunderts rund 200 Mitglieder und war fest in die Stadtgesellschaft integriert, bis die Nationalsozialisten die Macht ergriffen. Die Synagoge wurde am 9. November 1938 ausgeraubt, geschändet und schließlich abgetragen. Gibt es noch Überreste? Lassen sich nach Jahrzehnten noch Spuren finden? Diesen Fragen ging 2012 der Museumsförderverein nach und entdeckte den historischen Synagogenboden verborgen unter einer Schicht aus Staub, Steinen und Erde. Zunächst wurde die Entdeckung archäologisch untersucht, freigelegt und provisorisch gesichert. Doch schnell war klar: Das Bodendenkmal muss dauerhaft für die Öffentlichkeit sichtbar und zugänglich sein.
Die Jahre 2020 und 2021 brachten die entscheidende Wende. Das gemeinsame Interreg Va-Projekt der Stadt Schwedt/Oder und der Universität Szczecin ermöglichte den Bau einer Überdachung des historischen Bodens. Gemeinsam schufen die deutschen und polnischen Partner einen besonderen Ort, der fortan als Seminar- und Ausstellungshaus für grenzüberschreitende Bildungsangebote genutzt wird.
Am 27. August 2021 wurde das SEMINARhaus über dem historischen Synagogenboden feierlich eröffnet. Anke Grodon, Leiterin der Städtischen Museen Schwedt/Oder, begrüßte die zahlreichen Gäste und die polnischen Projetpartner herzlich. Ganz im Sinne der schönen Tradition, einem neuen Haus etwas zu wünschen, die Menschen, die dabei sind zu grüßen und Denkanstöße für die Zukunft zu geben, überbrachten Diana Sandler als Antisemitismusbeauftragte und Beauftragte für den Dialog mit Religionsgemeinschaften, Prof. Jörg Hackmann von Seiten des Projektpartners aus Szczecin und Kulice, Landrätin Karina Dörk und Bürgermeister Jürgen Polzehl die Grußworte.
Der Marzahner Kammerchor unter Leitung des Vollblutmusikers Wilfried Staufenbiel war in ganzer Stärke angereist, um musikalisch zum Gelingen des Festes beizutragen. Das Konzert mit jiddischen Liedern und Musikstücken aus der Feder jüdischer Komponisten war sehr emotional.
Nun war es soweit, das SEMINARhaus und die erste Ausstellung wurden eröffnet. Dr. Dietmar Woidke, Ministerpräsident des Landes Brandenburg und Koordinator für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit, sprach von einem Ort des Gedenkens, einem Ort der europäischen Begegnungen und von Optimismus für die Zukunft. Die deutsch-polnische Zusammenarbeit ist der Motor für die Grenzregion, Woidke enthusiastisch: „Mein Herz schlägt für deutsch-polnische Jugendbegegnungen!“ Gleichzeitig bedankte er sich bei der Stadt Schwedt/Oder und dem Landkreis Uckermark für ihr Engagement.
Das SEMINARhaus soll zu einem Ort für Dialoge, Begegnungen und Auseinandersetzung mit jüdischem Leben im unteren Odertal, ein Ort für museumspädagogische Projekte, ja, ein Ort für Menschen werden. Die erste Ausstellung „Die Kinder der Orama“ ist ein Schritt in diese Richtung. Es handelt sich um ein Zeitzeugenprojekt der Wandlitzer Künstlerin Jossi Rücker. Sie machte sich auf die intensive Spurensuche und reiste 2017 nach Australien und New York, um die Zeitzeugen zu treffen, die als Kinder mit dem Schiff „Orama“ aus Deutschland nach Australien geflüchtet waren. Sie näherte sich dem Thema mittels Briefen, Fotografien und Biografien, recherchierte in Archiven und fing an, nach den Interviews zu malen. Sie experimentierte mit Audiodateien, Schrift und Bildern. So wurden die „Kinder der Orama“ schließlich zu einem raumgreifenden, faszinierenden Ausstellungsprojekt. Die Ausstellung zeigt, was wir durch den Holocaust an Kunst und Kultur verloren haben.
Zum Gespräch „Kunst trifft Wissenschaft – Innovatives Denken für den gemeinsamen Kulturraum“ konnte Anke Grodon die Bildhauer Prof. Dr. Jerzy Lipczyñski, Claus Lindner und Prof. Dr. Volker Thole von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde begrüßen. In dem Versuch einer Annäherung zwischen Wissenschaftlern und Künstlern sprach die Gruppe über die Materialien Stein, Holz und Bronze. Welche Herausforderungen stellt das Material an den Künstler und welche an den Wissenschaftler. Aus der fachlichen Sicht von Thole ist Holz leicht zu bearbeiten, ein vielfältig recycelbares Material und besonders langlebig. Auch die Spanplatte ist für ihn Holz im weitesten Sinne. Der Bildhauer dagegen schätzt die Materialität des Rohstoffes und dessen Möglichkeiten.
Lipczyñski schichtet mehrere Holzarten übereinander und setzt diese zu überlebensgroßen filigranen Figuren zusammen. Anschließend erhalten die Figuren eine emotional aufgeladene Farbigkeit. Lindner wählt lieber den für ihn leichter zu formenden Werkstoff Gips als Vorstadium seiner figürlichen Bronzearbeiten. Bei dem gemeinsamen Betrachten der Kunstwerke im Garten und im Ritualbad gab es anregende Gespräche, Nachfragen und neue Impulse. Kunst trifft Wissenschaft eben.