Tabakstadt Schwedt
Auf den ersten Blick ist Schwedt eine Industriestadt. Die Papierfabrik am einen und die Raffinerie am anderen Ende, dazwischen die Wohnkomplexe. Aber lange bevor die Erdöl- und Zelluloseverarbeitung den Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg begründete, gab es bereits Industrie in der Stadt. Seit dem 18. Jahrhundert prägte die Tabakindustrie Schwedt und sein Umland – um letztlich nahezu vollständig zu verschwinden. Die Spuren des Anbaus und der Verarbeitung des Tabaks sind bis heute an Gebäuden und Kunstwerken im Stadtraum zu finden. Entdecken Sie diese historisch interessanten Zeugnisse einer für Schwedt und die Uckermark so glorreichen Epoche auf einem Rundgang zu zehn Stationen.
Am 10. August 2024 fand im Rahmen des Tages der Industriekultur Brandenburg eine öffentliche Führung statt.
Die Fertigstellung ist für 2024/2025 geplant.
- Berlischky-Pavillon
- Schwedter Schloss
- Gerberspeicher
- VEB Rohtabak
- Karlsplatz
- Juden
- Gebr. Harlan
- Dieterle – Alte Fabrik
- Vierradener Platz
- Ermelerspeicher
1. Berlischky-Pavillon
Wer hat den Tabak in die Uckermark gebracht? Es waren Ende des 17. Jh. die Hugenotten, protestantische Gläubige, die in Frankreich wegen ihres Glaubens verfolgt wurden, die den Anbau und die Verarbeitung etablierten. Der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm sah in der Aufnahme der Hugenotten eine Chance für Besiedlung und wirtschaftlichen Aufschwung seines nach dem Dreißigjährigen Krieg entvölkerten und geschundenen Landes.
Ein bedeutendes Zeugnis der Ansiedlung der Hugenotten in der Uckermark ist der Berlischky- Pavillon. Die von Markgraf Friedrich Heinrich in Auftrag gegebene Kirche war Teil der barocken Bebauung des Schwedter Herrschaftssitzes. Nach Plänen von Georg Wilhelm Berlischky wurde sie 1777 erbaut und diente lange als Gotteshaus der französisch-reformierten Gemeinde. Zugleich war sie Grabkapelle der markgräflichen Familie aus dem Hause Hohenzollern, die schon 1613 zur deutsch-reformierten Konfession übergetreten war. Im Jahre 1785 wurde das Gebäude den französisch reformierten Refugiés als Gotteshaus zur Verfügung gestellt. Der Pavillon überstand den Zweiten Weltkrieg und wurde als Baudenkmal 1984 und 2001 restauriert. Er wird heute hauptsächlich als Standesamt und für kulturelle Veranstaltungen genutzt. Die in der Gruft befindlichen Särge der markgräflichen Familie wurden in die Gruft des Berliner Doms überführt.
2. Schwedter Schloss
Kurfürstin Dorothea erwarb 1670 die Herrschaft Schwedt-Vierraden. Noch im selben Jahr ließ sie Schwedt zu einer Residenzstadt umgestalten. Zudem war ihr das Potenzial des Tabakanbaus sehr bewusst. Sie berief 1686 den niederländischen Tabakplanteur Cornelius van Couverden nach Schwedt. Die Anfänge waren beschwerlich. Der Niederländer führte die Hugenotten in den komplizierten Tabakanbau ein und sie hatten die Energie, den Tabakanbau auf den Weg zu bringen. Seitdem hat sich der Tabakanbau in der Region gehalten und über die Jahrhunderte weiterentwickelt. Unter Dorotheas Nachfolger, ihrem ersten Sohn Philipp Wilhelm, entwickelte sich Schwedt zu "Potsdam der Uckermark" und es entstanden auch die ersten Tabakspeicher.
Das Schwedter Schloss war von 1689 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bewohnt, und verblieb bis 1945 im Besitz der Hohenzollernfamilie. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und die Ruinen 1962 gesprengt. An der Stelle des Schlosses wurde 1978 ein modernes Kulturhaus errichtet, das heute die Uckermärkischen Bühnen Schwedt beherbergt.
3. Gerberspeicher
Im 18. Jahrhundert war die Region um Schwedt das Zentrum des Tabakanbaus in der Uckermark. Mit 4400 Hektar Anbaufläche war es das größte zusammenhängende Tabakanbaugebiet Deutschlands. Der Speicher wurde in den 1880er Jahren fertiggebaut und diente zur Tabakvergärung und als Lagerraum für den Tabakhandel der Firma Hartmann. Von 1903 bis 1953 nutzte die Uckermärkische Tabakverwertungsgenossenschaft (UTVG) das Gebäude. Von 1951 bis 1954 befand sich hier die Konsum Zigarren Fabrik. Danach hatte der Speicher verschiedene Funktionen zu erfüllen. Seit 1998 wird der Speicher als „Galerie am Kietz“ durch den Kunstverein Schwedt e.V. genutzt.
Der originale Bauzustand der Entstehungs- und ersten Nutzungszeit ist historisch besonders wertvoll. Sehen Sie oben den Wetterhahn? Es ist das älteste Baudetail dieser Art in Schwedt.
4. VEB Rohtabak
1953 wurde die Uckermärkische Tabakverwertungsgenossenschaft (UTGV) aufgelöst und der VEB Rohtabak gebildet. Auf dem Gelände sind moderne Tabaktrocknungsanlagen und warmluftbeheizte Hallen für Tabakverarbeitung entstanden. Gleichzeitig ein Sozialgebäude mit Kantine. Hier könnte man den Beruf Tabakfacharbeiter erlernen.
Ziel der DDR war unabhängig in der Tabakproduktion zu werden und mit dem Export ins Ausland Devisen zu gewinnen. Große Ziele der Planwirtschaft haben sich nicht erfüllt. Nach der Wende konnte sich der uckermärkische Tabakanbau auf dem freien Markt nicht durchsetzen. Die Gebäude des VEB Rohtabaks wurden beseitigt und heute erkennt man die Geschichte des Ortes nur an den Straßennamen wie: Rohtabakweg oder Tabakblütenweg.
5. Karlsplatz
Hier auf dem Karlsplatz an Stelle des heutigen Hausnummer 3b stand bis 1997 die letzte Tabakscheune in Schwedter Innenstadt. Obwohl sie unter Denkmalschutz stand, wurde sie wegen Baufälligkeit abgerissen. Tabakscheunen in verschiedensten Bauweisen prägten bis 2. Weltkrieg das Stadtbild. Erst seit Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Trocknung des Tabaks in der Uckermark in speziell errichteten Gebäuden nach holländischem Vorbild vorgenommen. Die Qualität und damit auch Rentabilität der Ernteerträge werden durch die Trocknung im passenden Bauwerk stark beeinflusst. Luftige Außenwände, Schleppgauben, viele Luken, verschließbare Klappen, Jalousien und große Tore charakterisieren die Tabakscheunen von außen und lassen den Trocknungsprozess erahnen. Seit Spätsommer bis November hingen die aufgefädelten Blätter im Hang bis sie die gewünschte Qualität hatten. Seien Sie auf Ihrer Reise durch die Gegend aufmerksam und Sie werden viele noch vorhandenen Scheunen entdecken.
6. Juden
Seit etwa 1670 durften sich - mit kurfürstlicher Erlaubnis - Juden in Schwedt ansiedeln; als erste war die Familie des Juden Benedikt Levi aus Oderberg zugezogen. Ende des 18.Jahrhunderts erwarb die Gemeinde ein Haus in der Jüdenstraße, der späteren Mittelstraße, in dem ein Synagogenraum eingerichtet wurde; im Hofbereich war eine Mikwe angeschlossen. Es war naheliegend, dass auch jüdische Kaufleute versuchten, in der sich entwickelnden Tabakwirtschaft Fuß zu fassen. Die Schwedter Adressbücher von 1911 und 1926 nennen ca. 20 Tabak- und Zigarrenfabriken, darunter drei mit jüdischen Inhabern: Herrmann Michaelis, Isidor Lewinnek und Hugo Meinhardt. Hugo Meinhardt starb am 3. Dezember 1942 und wurde mit Hilfe seiner Haushälterin heimlich als letzter auf dem jüdischen Friedhof in Schwedt beigesetzt. Hier auf dem Karlsplatz können sie in der Saison das Jüdisches Museum mit dem Ritualbad und dem Fundament der ehemaligen Synagoge besichtigen. Außerhalb der Öffnungszeiten nutzen Sie den 3D Rundgang im Internet.
7. Gebr. Harlan
Die Hugenotten Jacob Abraham und Jacob Ludwig Harlan errichteten am Flinkenberg in der Zeit von 1787 bis 1789 die erste Tabakfabrik in Schwedt.
Unmittelbar neben dem Fabrikgebäude besaßen sie auch eine Druckerei für Vignetten der Tabakverpackungen, eine Rauchtabakmanufaktur und eine Tabakmühle.
In der Fabrik wurden jährlich 3 Tonnen Rauch-, Schnupf- und Rollentabak produziert, wodurch 160 Arbeiter beschäftigt wurden. Die Harlans hatten sich Absatzmärkte vor allem in Pommern, Schlesien sowie West- und Südpreußen erobern können, aber auch nach Ostpreußen und von dort nach Russland haben sie ihre Waren exportiert. Nebenbei betrieben sie weiterhin einen lukrativen und umfangreichen Kommissionshandel mit Rohtabak.
Das Leben der Harlans als „Unternehmer neuen Stils“ war von einem großen Einsatz und gesellschaftlichen Engagement in der französischen Kirche, der französischen Kolonie und der Stadt Schwedt geprägt.
8. Dieterle – Alte Fabrik
1852 gründet Ernst Dieterle in Schwedt eine Zigarrenfabrik. Sie entwickelt sich zum bedeutendsten Betrieb der Stadt mit einem weit verzweigten Filialnetz in ganz Deutschland. Der Firmengründer übergab später seine Firma an die Söhne Rudolf und Julius und sie lassen 1871 das Unternehmen in „Gebrüder Dieterle“ umbenennen.
1880 erlässt die preußische Regierung das Tabaksteuergesetz. Das führt zu einem Rückgang im Tabakkonsum. Dieterle reagiert mit der Produktion des steuerlich begünstigten Kautabaks. Nach der Jahrhundertwende steigt auch die Zigarrenproduktion wieder. Ab Mitte der 20er Jahre kommt Zigarettenherstellung dazu.
Das Fabrikgebäude der Zigarren- und Zigarettenfabrik Dieterle wurde von 1921 bis 1922 erbaut. Im Volksmund wird das Gebäude „Millionenbau“ genannt. Es zeigt den Einfluss des modernen Bauens der Zwanzigerjahre und des Bauhauses und steht heute unter Denkmalschutz.
Nachdem die Fabrik in Folge der Weltwirtschaftskrise 1932 in Insolvenz ging übernahm sie die Firma Vogelsang aus Bremen. Der Firmenname „Gebr. Dieterle GmbH. gegr. 1852“ wurde beibehalten.
1944 war in den Räumen kurz eine Uniformschneiderei. Im Oktober 1945 nahm die Fabrik als „Zigarren- und Tabakfabrik Schwedt/O“ die Produktion wieder auf. Die spätere Konsumgenossenschaft stellte hier noch bis 1954 Tabakwaren her. Anschließend nimmt hier die Mineralwasserfabrik (MIFA) ihren Sitz.
Nach langem Leerstand begannen im August 2013 die Arbeiten zum Umbau des Gebäudes zum Rathaus und Polizeirevier.
9. Vierradener Platz
Wir befinden uns am Vierradener Platz. Vierraden war früher die drittkleinste Stadt der DDR und ist heute nördlicher Stadtteil von Schwedt. An die glorreiche Geschichte des Tabakanbaus erinnert dort das Tabakmuseum.
Dominantes Merkmal auf dem Platz ist sicherlich der Brunnen, dessen künstlerische Gestaltung auf der Sage basiert, dass der Tabak vom Teufel kommt. Künstler Jan Witte-Kropius gewann mit seinem Entwurf den Wettbewerb der Stadt. Am 12. Juni 2020 wurde der neu gestaltete Brunnen eingeweiht.
Es ist der zweite Tabakbrunnen auf diesem Ort. Künstler Jürgen von Woyski (1929 – 2000) hat eine Skulptur aus Keramik 1972 für ein standort in der Helbigstraße realisiert. Auf dem breiten Ring, mit den Wasserdüsen in der Mitte, waren Tabakpflanzen abgebildet. Anlässlich der letzten Arbeiterfestspiele der DDR 1988 wurde in die neu gestaltete Vierradener Straße eine bearbeitende Version des Brunnens umgesetzt. 2014 wurde der wetterbedingt kaputte Brunnen abgetragen. Ein Teil ist heute auf dem Außengelände des Tabakmuseums zu sehen.
10. Ermelerspeicher
Der sogenannte Ermelerspeicher gehörte dem Berliner Tabakgroßhändler Wilhelm Ferdinand Ermeler (1784–1866). Ursprünglich besaßen die Tabakbauern ihre eigenen Tabakscheunen, in denen der Tabak nach der Ernte zum Trocknen hing, bevor er in die Verarbeitungszentren nach Breslau oder Sachsen gelangte. Mit eigens erbauten Speichern konnten finanzkräftige Unternehmer den gekauften Tabak zwischenlagern.
Dieses in Ziegelbauweise errichtete zweigeschossige Gebäude hatte eine Doppelfunktion als Speicher und Trockenschuppen. Typisch für die Funktion des Trocknens sind die durchlaufenden Schleppgaupen am Dach.
Neben der Tür zum Speicher befinden sich schmuckvolle Ornamente. Die Konsumgenossenschaft nutzte die Räumlichkeiten seit den 60er Jahren als Möbellager. Aus dieser Zeit stammt der große Mauerdurchbruch zum Einsetzen eines Schaufensters.
Das Gebäude wurde 1988 anlässlich der Arbeiterfestspiele restauriert und diente der städtischen Galerie. Seit dem Umbau im Jahr 2005 befindet sich hier die Stadtbibliothek.